Angst essen Seele auf

Hatte die Dramaturgin nicht mitbekommen, dass sich Deutschland in den letzten 40 Jahren verändert hat?

Leicht hätte die Aufführung in die Hose gehen können, hätten nicht so viele Schauspieler Röcke getragen. Ungefähr diese Art von Klamauk ist es, mit der das ansonsten unveränderte Fassbinderstück aktualisiert wurde.

Doch – das gilt es ausdrücklich festzustellen – ist dies den Konstanzern vorzüglich gelungen. Wie hier auf einer fast requisitenfreien Bühne in schneller Abfolge Kostüme und Rollen gewechselt wurden, hat schon große Klasse. Das Umkleiden geschieht auf offener Bühne und trotz der dabei entstehenden Hektik bleibt man als Zuschauer ganz im Geschehen gefangen und verliert nie den Faden. Wunderbar ist auch, wie sich die Männer in Miniröcken und Stöckelschuhe bewegen können. Die in der Fasnet vorherrschende Ungelenkheit von Männern in Frauenklamotten ist offensichtlich nicht genetisch verankert. Gratulation an Schauspieler, Ausstatter und Bühnenbildner!

Womit ich allerdings hadere, ist das, was man mit dem bedeutenden Filmwerk gemacht hat. Es geht in dem Film aus den 1970er Jahren um die Liebe einer älteren Frau und einem Gastarbeiter aus Marokko. Er zeigt, wie ihre Liebe und die Liebenden zunächst abgelehnt werden, sie aber zueinanderstehen, wie sie später von der Gesellschaft akzeptiert werden, sich dann Konflikte in die Beziehung einschleichen, um am Ende dann versöhnlich zu enden. Es ist ein universaler Stoff vom Fremden, das in eine geschlossene Gesellschaft einbricht.

Wer den Film nicht kennt, sollte sich die ersten 20 Minuten oder auch mehr auf Youtube anschauen. Man bekommt einen guten Eindruck von Fassbinders Umsetzung. Es ist die muffige Spießigkeit der späten Nachkriegszeit, die wir sehen, die all das ablehnt, was ihr unbekannt ist: das Fremde, die Homosexualität, die freie Liebe und so weiter. Es ist eine Gesellschaft, die noch mit aller Kraft versucht, ihre grauenhafte Schuld zu verdrängen. Es ist die Gesellschaft, gegen die die 68er so erfolgreich rebellierten, bis ein Berliner Bürgermeister voller Stolz sagen konnte: Ich bin schwul und das ist gut so.

Wenn man diesen Stoff nun heute inszeniert, hat man offensichtlich mehrere Möglichkeiten. Man könnte den Stoff unverändert auf die Bühne bringen. Immerhin ist der Film auch heute noch sehenswert, sofern man sich für die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse interessiert. Man könnte den Topos abstrakt und zeitlos darstellen, wie es für antike Dramen typisch ist. Oder man überträgt den Stoff in die heutige Zeit.

Offensichtlich hat die Dramaturgin Antonia Beermann wohl Letzteres beabsichtigt und ist zu dem Schluss gekommen, dass es nichts anzupassen gäbe. Doch wie kann das sein? Wir leben in einer Zeit, in der innerhalb eines Jahres eine Million Menschen aus einer anderen Kultur in Deutschland willkommen geheißen wurden. In der die Öffentlichkeit, allen voran die Medien, die Vorzüge dieser Entwicklung sieht, sei es die kulturelle Bereicherung, sei es die steigende Diversität oder sei es schlicht die Erwartung, dass Deutschland Arbeitskräfte benötigt, um die Renten der schon länger hier Lebenden zu zahlen.

Vielleicht hat Frau Beermann nicht mitbekommen, in welch dramatischem Ausmaß sich die Welt und speziell Deutschland in den letzten 40 Jahren gewandelt hat, wie international vernetzt der in der deutschen Industrie Arbeitende zwangsläufig ist, wie positiv der überwiegende Teil der Deutschen der europäischen Einheit gegenübersteht und wie weltoffen unser Land geworden ist. Vielleicht lässt es sich damit erklären, dass sie die damalige Zeit nicht persönlich erlebt hat. (Was die Frage nach der Qualität unserer schulischen Bildung aufwirft.) Doch spätestens die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hätte Frau Beermann klarmachen müssen, dass das Deutschland heute fundamental anders ist, als das Fassbinders.

Der fehlende Versuch, das Stück ernsthaft in die heutige Zeit zu transportieren ist besonders schade, weil sich seit dem letzten Jahr die Spannungen in unserem Land enorm verschärft haben und der Stoff dem Theater die Möglichkeit gegeben hätte, zur gesellschaftlichen Debatte beizutragen. Einer Debatte, die nötiger wird, je mehr sie durch Fake-News und Anti-Fake-News (Zensur) gefährdet ist. Doch es gab schon immer ein Rezept, eine gesellschaftliche Debatte beiseite zu schieben und das war Brot und Spiele. Und so ist denn die Umwandlung Fassbinders Stück in eine Klamaukveranstaltung letztlich das Gegenteil eines kritischen Beitrags und Vergewaltigung des genialen Filmemachers.

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