Jesus Christ Superstar

Jesus in einer säkularen Gesellschaft: Da ist der Kitsch ganz nah

Foto: Bjørn Jansen

Die Handlung dürfte dem Leser bekannt sein – bis hinein in kleine Details. Die Leidensgeschichte Jesu vom Einzug in Jerusalem bis zum Tod am Kreuz wurde den schon länger hier Lebenden im Schul- und Religionsunterricht und vielfach auch im Elternhaus nahegebracht. Diese Erzählung, die den Glauben von über zwei Milliarden Menschen begründet, für den profanen Unterhaltungsbetrieb zu nutzen, ist mit mehreren Problemen gespickt. Denn selbst für den, der sich schon früh von der Kirche abgewandt hat, beispielsweise in der Zeit als Jesus Christ Superstar uraufgeführt wurde, ist der Stoff mit vielen Bedeutungen aufgeladen. Und darum werden nur die Wenigsten bei Jesus im Garten Getsemani an einen Menschen denken, der plötzlich Schiss vor der eigenen Courage bekommt. Vielmehr werden die meisten den Bezug zum Schicksalszweifel herstellen, der auch gläubige Christen in Zeiten von Not befällt und hier von Gottes Sohn prototypisch durchlitten wird.

Um all das glaubwürdig auf die Bühne zu bringen, ist höchste schauspielerische Leistung gefragt. Dass dies misslingen kann, ist eines der Risiken in diesem Stoff. Mich hat es wenig erstaunt, dass sich das Konstanzer Ensemble hier verhoben hat. Unsere Schauspieler gehören nicht zum internationalen Spitzenpersonal, das muss man wissen, wenn man hier ein Stück inszeniert. Dass das Team begeisternde Darbietungen liefern kann, wurde schon oft genug bewiesen, auch in dieser Saison. Doch wenn es um tragische Stoffe geht, hängt zu viel an einzelnen Schauspielern. Die Konstanzer sollten die Finger davon lassen.

Bei Jesus Christ Superstar kommt hinzu, dass es eine (Rock-)Oper ist. Warum man meint, das sangliche Können einer Schauspieltruppe dafür reichen würde, verstehe ich nicht. Mag sein, dass der Gesang in späteren Aufführungen besser wird, aber aus einem Arlen Konietz wird kein Ian Gillan. Und es fehlte an spielerischen Ausdrucksmöglichkeiten, um die sanglichen Schwächen zu überdecken. Auch die Bühnengestaltung, oft ein innovatives Highlight in Konstanz, war diesmal eher dezent und dem Geschehen untergeordnet. Wie auch hätte es anders sein können, bei diesem Stoff? Lediglich in der Herodes-Szene drehten Birgit Kellner, Christian Schlechter und Ana Mondini auf; schön anzusehen, doch befremdlich im Zusammenhang mit der Passionshandlung. Dass man den deutschen Lauftext über große Strecken wegen der Beleuchtung nicht lesen konnte, war ärgerlich und lässt sich vielleicht in künftigen Aufführungen noch nachbessern.

Doch trotz aller Schwächen hat der Abend vielen Besuchern Spaß gemacht. Wer mit den Songs aufgewachsen ist und sie nun auf der Bühne live sieht, kann sich trotz der Misstöne erfreuen und so gab es mal wieder Standing Ovations.

Die Rockoper von Andrew Lloyd Webber wirft aber eine sehr grundsätzliche Frage auf: Darf man eigentlich die christliche Passionsgeschichte überhaupt im Showbusiness ausschlachten? Wie unselbstverständlich das ist, wird offenbar, wenn wir uns vorstellen, das Stück würde nicht von Jesus, sondern von Mohammed handeln. Wie schnell ein solcher Versuch mit dem Leben bezahlt wird, zeigt die Erinnerung an Charlie Hebdo. Und es ginge dabei nicht um eine Religion in fernen Ländern, sondern um eine, die zu Deutschland gehört.

Erfreulicherweise ist das Konstanzer Publikum tolerant und auch die sicherlich gläubigen Christen unter den Zuschauern stören sich nicht daran, die Heilsgeschichte auf ein in die heutige Zeit versetztes Historienstück reduziert zu sehen. Und diese Geschichte geht etwa so: Jesus hat in den Menschen die Hoffnung auf ein besseres Leben geweckt, ein Leben ohne die doppelte Ausbeutung durch Römer und Priesterkaste. Doch je mächtiger die Bewegung wird, desto mehr verzettelt sich Jesus in Einzelaktionen und Judas will es scheinen, dass Jesus auf einem Egotrip die Chancen auf gesellschaftlichen Wandel gefährdet. Er will Jesus stoppen, verrät ihn letztlich und als er kapiert, dass er damit seinen Freund dem Tode ausgeliefert hat, beklagt er sich bei Gott, dass sein Schicksal die Rolle des Bösewichts sein soll.

Zur Entstehungszeit des Stückes, heute als 68er-Jahre bekannt, konnten sich die Zuschauer mit dem Protest und Aufruhr der Frühchristen leicht identifizieren. Alles, von Rudi Dutschke bis zu den Beatles sprach von Aufbruch, John Lennons Credo, die Beatles seien berühmter als Jesus, stellte einen provokanten Bezug her und das Motto der Hippies, Make Love not War, bildete einen fast urchristlichen Kontrapunkt zu den gleichzeitig in Gewalt endenden Demonstrationen.

Aber wenn man das Stück heute aufführt und es in die heutige Zeit transferiert, sollte man darüber nachdenken, welche Bezüge man aufstellt. Wer entspricht heute den Unterdrückern, wer sind die aufbegehrenden Massen, und wer oder welche Bewegung leitet den Protest? In der Konstanzer Aufführung halten die protestierenden Schilder mit Aufschriften wie, „Keine Grenzen“ oder „Kein Mensch ist illegal“. Doch die Refugee-Welcome-Bewegung, also das Eintreten für Kriegsflüchtlinge, wird von einem breiten Konsens in Politik und Medien getragen, und auch in der Bevölkerung engagieren sich viele Bürger in Flüchtlingshilfe und beherbergen Asylanten. Ob man Antifa, Pegida oder AfD als heutige Widerstandsbewegungen ansehen will, ist fraglich. Bliebe noch, sich ganz allgemein auf die gesellschaftliche Auseinandersetzung als den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse zu beziehen, so wie die 68er-Bewegung teilweise verklärt wird. Doch das wäre politischer Kitsch. Die Konstanzer Theatermacher schaffen es nicht, einen plausiblen Zeitbezug herzustellen und hätten daher lieber das Stück in der Zeit der Römer belassen sollen.

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