Die Tage der Commune

„In Erwägung der begrenzten Mittel unseres Theaters, haben wir beschlossen, ein tolles Stück auf die Beine zu stellen“

Foto: Bjørn Jansen

Warum sie Brechts Stück in der heutigen Zeit aufführe, wird die Johanna Schall gefragt. Weil heute wieder so ein Wunsch nach Veränderung in der Gesellschaft zu spüren sei, antwortet sie und zählt die Gelbwesten, Fridays for Future aber auch Trump, Brexit, AfD und andere als Phänomene auf. Aber ist der Wunsch nach Veränderung, nach einer besseren Welt, nicht zwangsläufig ein linker? Für die in der DDR aufgewachsene Schauspielerin und Regisseurin sind die Verhältnisse offensichtlich nicht so simpel. Sympathien mit den rechten Bewegungen aber hegt sie nicht, dass stellt sie klar.

In den Tagen der Commune sind die Fronten klar. Während der 78 Tagen nach dem Ende des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870 bis 1871 wurde die Stadt Paris zur Räterepublik und die europäische Öffentlichkeit verfolgte aufmerksam, wie die erste proletarische Revolution sich entwickeln würde. Im Rückblick ist ihr Scheitern logisch, aber schon Karl Marx merkte an, dass kritisieren einfach sei: „Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen werden würde.“ Zwei Fehler waren entscheidend. Das Zentralkomitee der Nationalgarde, also die von der Bourgeoise in größter Bedrängnis bewaffneten Arbeiter und Bauern, gaben die Macht zu schnell an die Kommunarden ab. Und diese konnten sich nicht zum Sturm auf Versailles entscheiden, wohin sich der Adel zurückgezogenen hatte. Letzterer überredete Bismarck, die französischen Kriegsgefangenen freizugeben für den Sturm auf Paris, was dann das Ende war.

Auch Lenin studierte das Geschehen später, zog seine Lehren und leitete die Serie erfolgreicher Revolutionen ein: Russland, China, Kambodscha, Kuba – die Liste ist lang und bekannt und bekannt ist auch, dass die Revolutionen nicht den Traum eines besseren Lebens für das Volk erfüllten, sondern ein Albtraum mit wirtschaftlichem Elend und zig-Millionen Toten waren. Das ist die zweite Gefahr einer Revolution, die Aufspaltung in Lager und der Kampf zwischen ihnen. Johanna Schall weist im Programmheft darauf hin.

Man kann die Aufführung in Konstanz als geschichtliche Lehrstunde sehen. Und man wird sicherlich einiges dabei lernen, ich jedenfalls kannte diesen Teil der europäischen Geschichte kaum. Man kann sich aber auch auf das moralische Dilemma konzentrieren, in das die Akteure geklemmt sind. Soll man die gleichen, gewaltsamen Methoden anwenden, wegen derer man ursprünglich aufbegehrt hat? Wie Thomas Ecke als Pierre Langevin feststellt: Entweder man macht sich die Hände blutig oder hat keine Hände mehr.

Die Argumente, die in den hitzigen Debatten hin und her fliegen, haben universelle Gültigkeit. Auch heute fragt sich, ob man der Intoleranz gegenüber tolerant sein kann oder ob man die Meinungsfreiheit einschränken muss, um die Freiheit in der Gesellschaft zu erhalten. Doch etwas war anders damals, so will es mir scheinen. Es fehlte der Zynismus, der heute allem unterliegt. Damals meinten die Akteure noch was sie sagten. Wenigstens lässt Brecht sie so sprechen.

Man kann das Stück sogar noch universeller sehen, denn es erzählt die Geschichte von Menschen in einer Umbruchsituation, wenn alte Gewissheiten wegbrechen, wenn gewohnte Hierarchien wegfallen, wenn Menschen auf Augenhöhe sich zusammenfinden müssen und wenn Euphorie langsam an den Verhältnissen zerrieben wird. Brecht lässt die Geschichte um eine Pariser Familie herum spielen und ich hätte immer wieder gerne das Stück angehalten um genauer die vielen Geschichten zwischen den Figuren zu studieren. Wie sie sich verrennen, verlieben, streiten, wie sie sich die Zähne an den Bürgern ausbeißen, die sie nicht erreichen können, die sie auslachen, so wie bei uns in den 70er Jahren die Arbeiter meist nur Kopfschütteln für die studentischen K-Gruppen übrig hatten, die vor den Fabriktoren agitierten. Vielleicht liegen bei Nextflix schon Pläne bereit, den Stoff ab 2026 zu einer Multi-Staffel zu verarbeiten. Da könnte dann jede Figur dramatisch ausgearbeitet werden, der Stoff gäbe es wohl her.

Egal, wie man es sehen will: Die Konstanzer Inszenierung bietet für alle Sichten überzeugendes Anschauungsmaterial. Trotz der mit zwei Stunden recht langen Aufführung kommt keine Langeweile auf, im Gegenteil. Es beginnt mit der Erschießung der Protagonisten, also quasi mit dem Ende, und führt mit einer Mischung von Sprechszenen, Gesang, Klamauk und ein paar Brecht‘schen Verfremdungen durch die Handlung, ohne dass man sich jemals über den Formenmix wundert. Es gibt sogar ein paar leichte Gänsehautmomente aber nie die Gefahr, kitschig zu werden. Da bin ich empfindlich.

Der Erfolg hat viele Väter und Mütter bei dieser Aufführung. Die Schauspieler agieren als geschlossenes Ensemble. Unmöglich wäre es, einzelne Mitspieler herauszuheben. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Zwölf auf der Bühne über vierzig Rollen abdecken müssen. Da bleibt nicht viel Raum für Identifikation mit den einzelnen Rollen. Die Rollen sind darüber hinaus etwas karikaturhaft, abstrakt angelegt, auch das lenkt von den einzelnen Schauspielern ab und betont die Teamleistung. Auch das Premierenpublikum konnte seinen Applaus nicht wie sonst, auf Neben- und Hauptrollen anteilig dosieren. Es gab sogar einige Male Zwischenapplaus, es schien, die Begeisterung musste sich Bahn brechen. Wobei, an einer Stelle war ich doch verwundert. Thomas Ecke hatte gerade seinen komplizierten Satz „In Erwägung, dass der Mensch … physische und geistige Entfaltung … Eigentum … anteilig erarbeitet …“ und so weiter, zu Ende gebracht, da brandete der Applaus. Man sah die Verblüffung der Schauspieler. Ich wüsste zu gerne, welchen Nerv diese eher dröge Parole, die ich mir auch als Resolution einer Staatsratssitzung der DDR vorstellen könnte, getroffen hat.

Die Bühne ist schlicht, lediglich ein schräges Gitter auf dem Boden und eine Kanone in der Mitte. Mehr wäre in Anbetracht der vielen Schauspieler auf der Bühne wohl auch kaum gegangen. Die Kostüme sind alle in grau und schwarz gehalten, mit roten Abzeichen und Blutflecken. Lediglich Bourgeoisie und Adel schweben in weißen Anzügen und im Hintergrund über dem Geschehen und zeigen ihre Verachtung für den Pöbel. Ein überzeugendes Gesamtbild. Torsten Knoll unterstützt die Aufführung mit Musik und akustischer Untermalung.

Wer für die gelungene Inszenierung aber wohl maßgeblich zeichnet, sind Regie und Dramaturgie. Ich tue mich ja oft schwer, die jeweilige Verantwortlichkeit zuzuordnen und habe sicherlich das eine oder andere Mal Lob oder Kritik falsch zugeordnet. Hier aber scheint es mir deutlich. Franziska Bolli musste die vier Stunden Brecht auf zwei Stunden zusammenkürzen. Ich kenne das Original nicht, aber ich hatte nie den Eindruck, dass etwas in Stück fehlen würde. Ich glaube andererseits auch nicht, dass Brecht einen Inhalt von zwei Stunden einfach auf das Doppelte aufgeblasen hat. Die Auswahl dürfte nicht einfach gewesen sein, auf jedem Fall überzeugt sie. Johanna Schall als Regisseurin hat das Kunststück fertiggebracht, dem dramatischen Stoff mit Leichtigkeit und Humor rüberzubringen, ohne dass die Ernsthaftigkeit jemals in Frage gestellt würde. Glückwunsch.

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