Draußen vor der Tür

Kriegsheimkehrer*innen verstehen lernen

Als ich mit dem einen und anderen Besucher nach der Premiere sprach, schwankte ihr Eindruck zwischen nicht schlecht, ganz gut und weiß nicht; Einigkeit herrschte darin, dass es am Ende der Aufführung etwas zäh wurde. Langeweile hatte sich eingestellt, manchem fielen gar die Augen zu.

Wie kann das sein? Wie kann das sein, bei einem Stück wie diesem?

Draußen vor der Tür steht Beckmann, ein Kriegsheimkehrer, der feststellen muss, dass seine Frau einen anderen hat und dass sein Kind, das er nie gesehen hat, irgendwo unter den Trümmern begraben liegt. Und so beginnt die Erzählung mit Beckmanns Selbstmord, der misslingt. Beckmann, der alles verloren hat, sogar seinen Vornamen, wird von einem Mädchen gerettet. Doch als er beginnt, Zutrauen zu fassen, kehrt deren Ehemann aus Russland zurück, ein Krüppel mit Holzbein. Zu allem Überfluss war dieser in Beckmanns Kompanie und hat dort sein Bein verloren. Beckmann spürt unerträgliche Verantwortung, zudem auch für die elf Kameraden, die unter seiner Führung bei einem Vorstoß im Auftrag seines Obersten ums Leben kamen.

Diesen Oberst sucht Beckmann als nächstes auf, doch der hat sich in die neue Spießigkeit eingerichtet und ist nicht bereit, Beckmann von seiner Verantwortung zu befreien, er empfiehlt ihm erstmal Mensch zu werden. Weiter geht das Scheitern mit dem Versuch im Kabarett beruflich unterzukommen. Der Direktor weist ihn ab, Beckmanns düstere Geschichten will das Publikum nicht hören, mögen sie auch wahr sein. Vollends niederschmetternd dann sein Versuch, bei den Eltern Unterschlupf zu finden. Deren Wohnung, „seine Wohnung“, wird von der abgestumpften Frau Kramer bewohnt, die ihn darüber aufklärt, dass seine Eltern sich selbst entnazifiziert hätten und sie nun dort wohne. Einzig um das Gas sei es schade gewesen.

Und diese grauenvolle Geschichte wird in Konstanz aufgeführt und es gibt Zuschauer, die sich langweilen. Was ist da schiefgelaufen?

Nun, ich denke, das zweifelhafte Verdienst gebührt Regie (Mareike Mikat) und Dramaturgie (Eivind Haugland). Sie lassen die Schauspieler komödienhaft über die Bühne hetzen und veranstalten effekthascherische Kostümwechsel, lassen das Stück hinter der Show verschwinden. (Zum Glück nicht ganz, dazu ist der Text zu stark; darum sollte man sich die Aufführung trotz allem anschauen.) Wenn sich der größte Kerl auf der Bühne ein Kissen unters Hemd schiebt, um eine Schwangere zu imitieren, wenn eine kleine Schauspielerin sich ein Kissen ins Kleid steckt, um den dicken Direktor zu mimen, oder wenn Tomasz Robak als Frau Kramer mit ulkigen Schrittchen über die Bühne trippelt, dann greift man zu Mitteln, die bei anderen Stücken funktionieren und zur Erheiterung führen mögen, doch Borchert hat das nicht verdient. Kein Wunder, dass die Luft dann in der Traumszene raus ist, wenn Nikolai Gemel als Beckmann allein das Drama spielt. Er macht das gut, aber wenn eine Stunde lang alles getan wurde, damit die Hauptfigur keine Authentizität erlangt, wird sein Traum zu Schlafpulver für die Zuschauer.

Warum Mikat und Haugland so bei diesem Stoff versagen, darüber lässt sich nur spekulieren. Vielleicht konnten sich die beiden nicht in die Lebenssituation des Protagonisten hineinversetzen, eine Situation, die damals viele Männer in den Suizid trieb. In der heutigen Zeit, in der kleinste Verletzungen der politischen Korrektheit umfassende virtuelle #Aufschreie auslösen können, kann das Gefühl für Proportionen verloren gehen. Wenn ich spotten wollte, würde ich spekulieren, dass das Empathievermögen der Regisseur*innen und Dramaturg*innen schon erschöpft war, durch ihre Sorge um die Sichtbarmachung der 60+ verschiedenen Geschlechter im Begleitheft und das Platzieren der entsprechenden Sternchen dafür.

Vielleicht ist es auch eine Frage des Alters. Manche Besucher werden die gezeigte Welt noch erlebt haben, viele werden aus erster Hand, von ihren Eltern und Verwandten, einiges gehört haben. Auch ich erinnere mich an viele Sportkameraden meines Vaters, die ohne Arme oder Beine versucht haben, im Versehrtensport ihre Lebensfreude zu bewahren. Und ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer älteren Frau über die Zeit in Berlin nach dem Krieg; sie wollte nichts über das Gebaren der russischen Soldateska erzählen, aber das Grauen in ihren Augen sagte alles. Mikat und Haugland sind eine Generation weiter als ich vom Geschehen entfernt und kennen die Zeit vielleicht vornehmlich aus dem Geschichtsunterricht.

Vielleicht hatten die beiden aber auch einfach Angst vor dem, was herauskäme, würde man den Beckmann glaubwürdig auftreten lassen. Man stelle sich vor, Steven Spielberg würde den Stoff verarbeiten, so wie Schindlers Liste. (Was er aber nie tun würde, denn es fehlt das Positive, es fehlt ja ganz und gar in dem Text. Aber nur mal wenn.) Was, wenn der Zuschauer mit dem Antihelden mitfühlt und mitfiebert? Wo ist da Gut und wo Böse? Beckmann ist Soldat und Soldaten sind Mörder, wie das Programmheft Tucholsky sprechen lässt. Dann müsste man einer Vielschichtigkeit ins Auge sehen, die im heutigen Twittergeschrei, in den Relotiaden, im Auftrumpfen der Populisten aller Parteien und im Sensations- und Empörungsjournalismus gnadenlos untergeht.

Daniel Grünauer verwies bei seiner Premierenansprache auf die Dokumentation der Borchert-Aufführung von 1956, die das Theater zusammengestellt hat. Abgesehen von dem Einleitungstext ist diese Broschüre absolut lesenswert und gibt einen Eindruck von der Sprengkraft, die der Stoff entfalten kann, und von dem die aktuelle Inszenierung leider nichts hat. Damals hatten 15 Zuschauer unter Protest die Vorführung verlassen und es hatte sich ein veritabler Skandal daraus entwickelt, u.a. weil der damalige OB Knapp sich entschloss, den Intendanten Kreibig „[…] um die Erwägung der Absetzung des Stückes zu bitten“. Ja, das hat eine gewisse Parallele zu dem Geschehen um „Mein Kampf“ im letzten Jahr. Doch: Im Vergleich zum kultivierten Umgang in den Fünfzigerjahren, wirkt das kürzliche Auftreten des Bürgermeisters Dr. Osner umso peinlicher.

Der junge Chefdramaturg setzt der Geschichtsvergessenheit dann noch ein letztes Krönchen auf, wenn er am Ende seiner Ansprache nach der Premiere mit großer Geste die Menschen in jene teilt, die nach vorne schauen und jene, die zurückblicken, also den kleinen Honecker gibt („Vorwärts immer, rückwärts nimmer“). Ja, dann könnte es einem ob des Propagandatons gruseln, wenn dies nicht so furchtbar provinziell wäre.  Doch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass Herr Grünauer irgendwann zurückblickt und erkennt, dass das Weltgeschehen viel weniger schwarzweiß ist, als er es sich denkt.

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