Mein Kampf

Wirres Theater kann einer verwirrten Gesellschaft nicht helfen

Ich gebe es unumwunden zu: Ein wenig stolz bin ich darauf, dass es unser kleines Stadttheater geschafft hat, nicht nur in allen deutschen Medien besprochen zu werden, sondern auch bis in die USA be(ob)achtet wird. Dass, obwohl ich den Anlass, nämlich die Hakenkreuz-Davidstern-Geschichte, sehr bedenklich finde, wie ich weiter unten ausführen werde. Ungefähr der gleiche Stolz, den ich empfinde, wenn unsere Fußballer Brasilien mit 7:1 in den Senkel stellen.

Fangen wir mal mit dem Positiven an. Das Stück ist sehenswert. Es passiert viel, es ist ordentlich Action auf der Bühne, die Bühnengestaltung, die Musik – alles vom Feinsten. Man kann lachen und man kommt ins Grübeln. Theater von seiner besten Seite.

Worum geht es? Schlomo Herzl haust mit dem Koch Lobkowitz in einem Männerheim in Wien. Dort taucht der junge Hitler auf und Schlomo nimmt den wirren jungen Mann unter seine Fittiche. Es gibt dann noch Gretchen, die mit Schlomo eine Beziehung hat und später zu Hitler wechselt und Frau Tod, die Hitler als Hilfsgesellen sucht. „Mein Kampf“ ist ein Buch, das Schlomo schreiben will, aber am Ende von Hitler, … man weiß das.

Das Stück ist von George Tabori als Groteske gekennzeichnet, was es dank der schrägen Ausgangssituation und jüdischem Witz wohl auch ist. Natürlich ist es auch ein wichtiger Stoff, denn Hitlers Aufstieg vom verkrachten Künstler zum Gröfaz hat etwas schwer Erklärliches. (Wobei ich ja glaube, dass man Erklärung weniger in der Person Hitler als in den Deutschen finden wird.)

Die Konstanzer Schauspieler agieren absolut überzeugend, allen voran Thomas Fritz Jung als Schlomo. Jung war schon immer gut, aber vermutlich wird er immer besser, so sehr hat er mir noch nie gefallen. Er gibt den Juden überzeugend und verkörpert Lebensweisheit, Humor und religiöse Bindung. Aber auch Peter Posniak und Laura Lippmann spielen ihre Rollen grandios, obwohl diese klamaukiger angelegt und darum nicht so schwierig sind. Aber das soll das Lob nicht schmälern, die Showeinlagen sind sehenswert.

Womit ich, wie so oft, hadere, ist die Regie, die in diesem Stück Serdar Somuncu verantwortet. Er pfropft die Inszenierung voll mit Zeitbezügen. Lobkowitz sieht aus wie Donald Trump, Gretchen wie Frauke Petry, Frau Tod wie Theresa May, es wimmelt von Bezügen auf Gauland und Weidel, der Ku-Klux-Klan taucht auf, Flüchtlingskinder werden auf der Bühne geboren und später gebraten, Schlomo wird gekreuzigt, und, und, und. Was soll das? Wenn Somuncu sein Weltbild auf die Bühne bringen will, reicht doch eigentlich die Eingangsszene, in der er zeigt, dass die Pegida-Demonstranten der zukünftige Nazi-Mob sind, die unter Wir-sind-das-Volk-Rufen Ausländer zusammenschlagen. Auch das Programmheft macht klar worum es Somuncu geht, wenn es Hitler, Göbbels, Trump, Erdogan, Blocher, Wilders und Petry auf eine Stufe stellt: Das wichtigste heute ist der Kampf gegen den neu aufkommenden Nationalsozialismus, so die Botschaft.

Vielleicht spürte Somuncu, dass das doch alles nicht so einfach ist. Es passieren Dinge in der Welt und auch in Deutschland, die nicht so ganz kompatibel sind. Es gab und gibt auch Böse bei den Linken und der Islam ist auch nicht unproblematisch. Und wie soll man sich zu den heutigen Juden in Israel stellen? Ich vermute, Somuncu hat versucht, einfach mal ganz viele Zeitbezüge irgendwie unterzubringen, soll doch der Zuschauer sich dann seine Gedanken machen. Irgendwie wird das schon alles passen. Der grobe Kompass ist vorgegeben, inhaltliche Stringenz eher Nebensache.

Passen tut da zwar nichts wirklich, aber die Theaterkartenaktion passt in das Holzhammerschema. Besucher sollten die Möglichkeit haben, kostenlos ins Theater zu kommen, wenn sie sich dafür ein Hakenkreuz anhefteten. Die zahlenden Zuschauer sollten sich dagegen einen Davidstern anheften. Vermutlich dachte Somuncu, dass das eine gute Idee sei. Jeder muss Farbe bekennen und die Hakenkreuzträger werden dann im Stück mit Diskolicht angestrahlt und öffentlich gemacht. So griffe dann Theater in die Gesellschaft ein.

Das ist auf so vielen Ebenen blödsinnig, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Dass das Ganze völlig unüberlegt war, erkennt man daran, dass zuerst behauptet wurde, es sei „ein notwendiger Teil des Kunstwerks“ um es dann später als Marketing-Gag auszugeben. Dann wieder hieß es, der Zweck sei erfüllt, man habe erfolgreich eine Debatte angestoßen. Was für eine Debatte? Dieses wirre Gerede in der Öffentlichkeit, bei dem die bekanntermaßen linken Theatermacher am Ende noch im Verdacht stehen, Antisemiten zu sein? Solche Debatten braucht keiner. Und auch keine mit dem Kulturbürgermeister, der sich die Aufführung zwar nicht anguckt, aber jedem, der ein Mikrofon hinhält, erklärt, dass es der größte Skandal sei, den Konstanz je gesehen habe.

Das es Kritik von der jüdischen Gemeinde geben würde, dürfte wohl erwartet worden sein. Ein Vorwurf war, die Schoah für Geschäftszwecke zu instrumentalisieren. Gewichtiger war wohl, das einige Juden zurecht darauf hinwiesen, dass sie nicht mit dem Symbol im Theater herumlaufen wollen, mit dem ihre Vorfahren stigmatisiert wurden. Wo gehobelt wird, da fallen halt Späne, dachte man wohl. Dem Kampf gegen die heutigen Nazis, dem die Inszenierung dienen soll, müssten sich solche Gefühligkeiten unterordnen, so wohl die Denke.

Die Idee ist aber auch völlig schräg. Die Zuschauer sollten sich damit in die Situation der Naziherrschaft versetzen. Doch mit welcher Rollenverteilung? 95 % Davidsternträger und 5 % Hakenkreuzträger, die dann im Theater geächtet worden wären, weil sie sich für 20 € kaufen ließen? Am besten noch so richtig mit Randale im Foyer, Beschimpfen, Spucken und Prügeln? Auch dieser Schuss wäre wohl nach hinten losgegangen.

Was mich  wirklich gestört hätte, wäre die Aktion nicht kurzfristig abgeblasen worden, ist  aber nocht etwas Anderes. Jeder Zuschauer sollte sich entscheiden zwischen Gut und Böse und das klar zu erkennen geben. Bekenne Dich! Zeige, dass Du auf der richtigen Seite stehst! Diese Forderung ist ein Instrument der Machtausübung und ist mir vor allem aus faschistischen Gesellschaften bekannt, sei es Stalin-Russland, Hitler-Deutschland oder die DDR. Doch heute ist die Polarisierung das Problem, heute kommt es darauf an, Dialog zu ermöglichen und ins Gespräch zu kommen. Wenn es, wie im Programmheft geschrieben ist, darum geht, den Nazi in uns zu suchen, dann sollten Nix und Somuncu keine Dichotomie inszenieren, in der jeder nur entweder gut (0 % Nazi) oder schlecht (100 % Nazi) sein kann. Die Wirklichkeit ist nicht Schwarzweiß, sie hat mindestens Grauschattierungen. Eigentlich ist das Leben sogar in Farbe.

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