Der zerbrochne Krug

Die Mischung macht’s. Oder auch nicht.

Das Kleiststück scheint zu Inszenierungen zu verleiten, an denen sich die Geister scheiden. Ich erinnere mich noch gut an die Version von Michael von zur Mühlen 2016 hier im Stadttheater, als Premierenzuschauer verärgert die Vorstellung verließen. So weit kam es diesmal nicht, aber man konnte nach der Premiere deutliche Worte hören. Denen konnte und kann ich nicht zustimmen, aber die Faszination der 2016er-Aufführung hat sich bei mir auch nach einer Woche nicht eingestellt. Warum? Bei der Spurensuche habe ich zwar lauter Zutaten gefunden, die für sich sehenswert waren. Zusammengenommen, scheinen sie sich aber nicht zu einem überzeugenden Bild zu fügen.

Beginnen wir mit dem Bühnenbild von Carolin Mittler. Man kann es nur in höchsten Tönen loben. Die Idee, das Bild, genauer, den Stich, der Kleist den Anlass bot, das Stück zu schreiben, als Bild mit Rahmen zum Bühnenbild zu erklären, ist großartig. Einzelne Teile des Schwarzweißbildes können als Einrichtungsgegenstände bewegt werden. Damit verschmelzen Bild und Spiel in manchmal verwirrender Weise.

Die Kostüme von Charlotte Sonja Willi sind auch durchaus sehenswert, aber ich bin aus dem Stilmix nicht schlau geworden. Vom Glitzerjäckchen mit Tüllrock, über Business-Outfit, über Joggingklamotten, über das japanisch anmutende Kleid von Marthe Rull bis zur roten Robe des Dorfrichters wurde dem Auge einiges geboten. Aber mehr als den Wunsch, jede Verankerung der Handlung in Zeit und Ort zu verhindern, konnte ich den Kostümen nicht entnehmen.

Womit wir bei den Schauspielern wären, die ihre Sache eigentlich auch gut machen. Sie werden herausgefordert von dem Klamauk, den die Regisseurin Schirin Khodadadian auf die Bühne bringen lässt. Da wird gesprungen, sich hingeworfen, sich auf dem Schoß gesessen und Reiterchen gemacht, gesungen und allerhand bemerkenswerte Possen getrieben. Viele Einlagen sind sehenswert.

Und dann ist da schlussendlich der Kleisttext. Er handelt, viele werden es wissen, von dem Dorfrichter Adam, der bei einem heimlichen Besuch der jungen Eve, in deren Schlafgemach den Krug umstößt, der Eves Mutter Marthe gehört. Das passiert, weil Eves Verlobter auftaucht und Adam Hals über Kopf flüchtet und nicht nur den Krug umwirft, sondern sich zusätzlich reichlich Blessuren zuzieht. Es geht nun alles um den Gerichtsprozess, den Marthe anzettelt und in dem sie Eves Verlobten Rupprecht beschuldigt. Was der Sache eine besondere Würze gibt, ist der Gerichtsrat Walter, der überraschend erschienen ist und prüfen will, ob die Gerichtsbarkeit im Ort sich an die Gesetze hält, oder ob sich die Richter bereichern und Willkür statt Recht sprechen. Die Sache ist von Anfang an offensichtlich und man kann sich daran erfreuen, wie Dorfrichter Adam von einer Lüge in die nächste stolpert und am Ende vom Richter zum Flüchtling wird.

Kleists Text hält die Spannung, weil Eve offensichtlich etwas weiß, was für den Fall wichtig ist. Und auch was genau zwischen Dorfrichter Adam und Eve war, bleibt längste Zeit im Dunkeln. Am Ende stellt sich heraus, dass sie eine Vereinbarung getroffen und sich gegenseitig Schweigen versprochen hatten. Die Vereinbarung war, dass Adam ein Attest besorgt, damit Eves Verlobter nicht zum Militär muss und Eve im Gegenzug sich auf etwas einlassen würde, „daß kein Mädchenmund auszusprechen wagt“. Das war natürlich kein Deal auf Augenhöhe, sondern Betrug. Adam hatte Eve bezüglich entscheidender Details des Militärdiensts belogen. Der Deal kam wohl auch nicht zur Umsetzung.

Der zerbrochne Krug ist ein Lustspiel. Es entsteht allerlei Durcheinander und am Ende löst er sich auf. Beim Zurückblicken wird man angeregt, ein paar weitergehende Gedanken zu entwickeln. Nur leider geht das Ende irgendwie unter. Es wird sehr schnell gespielt und noch schneller gesprochen und so klagten denn etliche Zuschauer: „Ich hab‘ nicht verstanden, was da am Ende genau rausgekommen ist“. Das ist natürlich fatal, wenn diese entscheidende Passage nicht zur Geltung kommt.

Man kann Kleist vielleicht nicht mehr „einfach so“ spielen. Sicherlich fühlt sich eine Regie herausgefordert, irgendetwas Besonderes in die Inszenierung zu bringen. In diesem Fall, war es neben dem Bühnenbild, das, wie schon gesagt, über jeder Kritik steht, und neben den Kostümen, die nichts Relevantes beitragen, zwei Entscheidungen, die man bemerkt. Den Klamauk auf der Bühne und dass aus dem Gerichtsrat Walter die Gerichtsrätin Walter wurde. Letzteres ist für die Inszenierung irrelevant. Aber der Klamauk ist es. Er kostet nämlich Zeit. Zeit, die dem Stück am Ende fehlt. Und ich frage mich auch, ob man bei einem Lustspiel noch zusätzlich Faxen auf der Bühne machen sollte. Traut man dem Kleist’schen Humor nicht? Oder weiß man nicht, wie ihn zur Geltung bringen?

Mit dem Motto „Macht. Machtmissbrauch. Machtdochnix?“ wird eine fruchtbare Sicht auf den Stoff eröffnet. Natürlich lässt sich der Gedanke an die Metoo-Bewegung kaum vermeiden. Und dort, wie im Stück findet man zwei Seiten. Einerseits ist es verwerflich und oft kriminell, seine (meist von anderen verliehene) Macht für persönliche Vorteile einzusetzen und zweifelhafte Angebote zu machen. Auf der anderen Seite ist man nicht gezwungen, ein solches Angebot anzunehmen. Vermutlich haben die Opfer deshalb auch jahrzehntelang geschwiegen, teils wohl aus Scham, teils aus Komplizenschaft. Genauso geschwiegen, wie Eve bei Kleist.

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