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Anything goes … direkt ins Nowhere

Sieben Schauspieler, die noch in der Ausbildung, oder gerade erst fertig sind, führen ein Stück über die Probleme Jugendlicher auf. Da ist man natürlich gespannt, wie sich der Nachwuchs schlägt. Und ich will es gleich zu Beginn sagen: Es weckt die Erwartung, dass eine tolle Schauspielergeneration an die Türen unserer Theater klopfen wird. Die Sieben haben mich alle überzeugt, ich habe schon schwächere Leistungen bei unserem festen Ensemble gesehen. Vielleicht war die Aufgabe auch nicht allzu schwer, es wurde viel im Chor gesprochen, einzelne Charaktere wurden nur skizzenhaft verkörpert, aber egal: das was man sah, war gelungen aufgeführt.

Überhaupt war das Stück unterhaltsam und kurzweilig, was sicherlich auch an seiner Kürze lag. Kaum länger als eine Stunde dauerte die Inszenierung. Das Bühnenbild sehr sparsam, auch im tatsächlichen Sinn, denn man hat einfach den schrägen Boden von „The Black Rider“ belassen und lediglich ein Podest mit einem ein schmucken, übermannshohen Blumengesteck aufgestellt und dahinter ein Stück Stoff mit einem lichten Wölkchenhimmel gespannt. Auf und vor dem Podest wurde dann gesprochen, getanzt, gesungen, mit viel flotter Musik und drei Kostümierungen: Mal in hautfarbener Wäsche, dann in diesen unsäglichen Trainingsanzügen („… hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, KL), dazu noch in Teletubbiesfarben und am Ende dann in schwarzen, punkigen Aufzügen.

Es ging, wie eingangs angedeutet, um die Selbstfindungsprobleme heutiger Halbwüchsiger. Die Autorin, Julia Henni, hat fünfzehn Jugendliche zum Thema Körper und Bilder befragt und aus den Antworten das Stück entwickelt. Wie repräsentativ das Ergebnis ist, sei dahingestellt, mir schienen die modernen Zeitgeistthemen rund um Gender und feministischer Körperzentriertheit etwas dominant. Ob das im Leben von Unterschichtskindern oder der vielen moslemischen Jugendlichen auch so bedeutsam ist, wäre zu fragen. Es ist eher die Perspektive des Nachwuchses der Bessergestellten. Aber das kann man akzeptieren, denn diese Gruppe ist in der medialen Öffentlichkeit tonangebend und dringt lautstark in die Gehirne aller Heranwachsenden ein.

Sehr geschickt wurde das Thema auf drei Ebenen verteilt. Das eigentliche Geschehen ist eine Art Aufführung, die geprobt wird. Der Schönheitskult unserer Mode- und Influencerwelt wird humorvoll ins Absurde gesteigert: Wie muss der Hintern sein? Wie ein Pfirsich. Nein, wie eine Tomate. Aber keine Fleischtomate, sondern eine Rispentomate. Ja, einen Hintern wie eine Rispentomate muss er haben. Dann aber fallen die Schauspieler aus den gespielten Rollen und reden über ihre Probleme mit diesen Schönheitsidealen, überhaupt über ihre Probleme mit den Erwartungen, die sie an sich gestellt sehen, und dem Schwanken zwischen übersteigertem Ego und verzweifeltem Kleinheitsgefühl. Und dann wird auch noch die Realitätsebene angerissen, wenn Julian Moritz sich wiederholt sorgt, wie er wohl vor dem Konstanzer Premierenpublikum ankommt, dem er doch gefallen will. Was ja auch wirklich der Fall ist, also beides: Dass er gefallen will und dass er mir gefallen hat.

Also schön ineinandergemischt diese Ebenen, mit vielen flotten Wechseln. Das gelingt, ist kunstvoll, also Kunst. Und so verlässt man das Stück, hält sich nicht mit Stärken oder Schwächen der Inszenierung auf und ist sofort am Thema: Wie ist das denn so mit Jugendproblemen?

Es ist eigentlich ein Jugendstück, soll aber auch für Erwachsene ansprechen. (Umgekehrt wie sonst, wenn man Erwachsenenstücke aufführt und sagt, die seien auch für Jugendliche geeignet.) Man fragt sich sofort: War das eigentlich seinerzeit bei uns anders? Wir hatten doch die gleichen Probleme in dem Alter. Klar, die Anforderungen waren nicht so medial verstärkt wie heute, aber in uns war da nicht genau die gleiche Verunsicherung? Ich denke, es ist heute schlimmer für die jungen Menschen. Magersucht und Essstörungen waren zu „unseren Zeiten“ deutlich seltener. Sehr schön stellt Sissi Reichenbrugger die Denkspirale dar, wenn sie vorträgt, wie sie sich mit eiserner Disziplin auf Idealgewicht heruntergehungert hat, in der Hoffnung, dass dann all ihre Probleme verschwunden seien, nur um festzustellen, dass die Ängste mitgelaufen sind und sie noch obendrein das Leben über die ganze Kalorienzählerei verpasst hat. Und wenn sich Mädchen heute anfangen, die Brüste abschneiden zu lassen, werden viele später feststellen, dass das nicht ihre Depressionen beseitigt hat.

Aber das Stück will nicht nur Probleme zeigen, sondern versucht, einen Lösungsweg zu präsentieren. Man soll sich akzeptieren, wie man ist. Man erkennt, dass man nur ein einsames Pünktchen im unendlichen Weltall ist. Man kann aber anderen Pünktchen begegnen, und sich erzählen und ein Band knüpfen, ganz viele Bänder, die dann den Planeten umspannen. In der Not fängt einen das Netz auf.

Das ist in der Tendenz nicht falsch, doch zu oberflächlich. Jugendliche kennen noch nicht viel vom Leben und neigen zu solchen Kitschphilosophien. Der bessere Ansatz wäre gewesen, Jugendprobleme als eine spezifische Form allgemeiner Lebensprobleme zu erkennen. Denn das Leben stellt uns auch im weiteren Verlauf immer wieder auf schwere Proben, bis zuletzt, zu der schwersten, nämlich dem Tod. Darüber wären dann alle Altersstufen angesprochen worden.

Vermutlich wurde die transzendentale Perspektive nicht gesehen. Denn sie ist in der modernen Welt weitgehend verloren gegangen. Wir lobpreisen Glanz, Glitzer, Vielfalt und Diversity, aber haben kein Gespür für das, was Leben eigentlich ist. Und das ist auch der Grund, warum heutige Jugendliche so viel mehr leiden müssen. Ihnen fehlt die Struktur eines spirituell verankerten Weltbildes. Anything goes … direkt ins Nowhere.

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