Das Licht im Kasten

Texttapeten tanzen

Jetzt also mein erstes Jelinekstück. Im Vorfeld hatten wir ein Treffen mit Frau Dr. Kuberg, die beim zugehörigen pro.log am kommenden Sonntag (30.01.2022, 11 Uhr in der Spiegelhalle) referieren wird: Abstimmung zwischen Vortrag und Moderation. Dabei habe ich etwas über Jelineks Theater gelernt.

Elfriede Jelinek schreibt keine Theaterstücke, so wie man sie kennt. Sie schreibt nur einen Text. Keine Rollen-, keine Schauspielerzuschreibung, überhaupt: Keine Sprechertexte, keine Dialoge, eher einem Sachtext ähnlich. Erst die Inszenierung macht daraus ein Theaterstück, legt fest, ob ein, zwei, drei oder zehn Schauspieler auf die Bühne kommen und wer welchen Text sprechen soll. Die Konzeption schien mir sowohl vielversprechend wie herausfordernd für unser Theaterteam.

Nun muss ich sagen, dass mich der Text eher langweilt. Jelinek umstreicht das Thema Mode von verschiedenen Seiten, hier mal was zu den Produktionsbedingungen, da mal was zur Schnelllebigkeit der Konsumgüter, dann mal ein Abstecher in die Suchtgefahren des Schönheitswahn, dann wieder was zu Nachhaltigkeit und auch ein bisschen philosophischer Tiefgang mit der Frage, ob die Stoffumhängerei nicht von der eigenen Vergänglichkeit ablenken soll.

Klar, das sind alles wichtige Themen. Zu jedem einzelnen gäbe es viel zu sagen. Wenn woke Zeitgenossen sich teure Billig-T-Shirts anziehen, bei deren Produktion Bauern und Fabrikarbeiterinnen aus Drittweltländern ihr Leben gefährden, wenn bei uns das Färben nicht mehr möglich ist wegen der Umweltauflagen, dafür in anderen Ländern Menschen und Umwelt vergiftet werden, finde ich es richtig, auf die Doppelmoral aufmerksam zu machen. Doch das wird schon lange thematisiert und die Theaterbesucher werden es alle wissen. Ob ein Lieferkettengesetz dem Abhilfe schafft oder lediglich ein Bürokratiemonster generiert, das unseren Mittelstand erdrosselt und noch mehr Geld in die Kassen der globalen Großkonzerne umleitet, ist nur eine der vielen Fragen, die man dazu stellen könnte.

Und so verhält es sich auch mit den anderen Themen. Einen kompetent geschriebenen Sachtext lese ich gerne, aber was bringt es mir, den verstreuten Gedankensplittern Jelineks zu folgen? Ich habe mich nach der Vorstellung auf ihrer Webseite umgeschaut, auf der sie übrigens alle ihre Texte veröffentlicht, was ich sehr nobel finde, und habe in den Text hineingelesen. Ich konnte kaum einen ganzen Absatz lang den Assoziationsketten folgen. Ist nicht meins, wie man so sagt. (Dafür fand ich die Webseite bemerkenswert: Design und Technik aus den Urzeiten des World Wide Web; das vergleicht sich mit modernen Webseiten wie ein Trabi mit einem Tesla. Das hat was, Respekt!)

Im diesmal lesenswerten Programmheft heißt es, Jelineks Kunst sei es, die Texte wie eine Art Musikstück zu arrangieren, quasi eine Komposition. Das mag sein, man müsste sich vielleicht die Mühe machen, mit dem Textmarker die semantischen Schnipsel nach Thema farblich zu markieren und nach Rhythmus und Wiederholung zu untersuchen. Doch selbst wenn sich dann eine bemerkenswerte Struktur manifestierte, würde mich doch der Inhalt von ihr ablenken. Wenn es um die Struktur geht, sollte Jelinek eher die Gebrauchsanleitung einer Waschmaschine zugrunde legen; als Baumaterial einer Ornamentik finde ich die angerissenen Themen herabgewürdigt.

Nun ja. Es gibt ausgesprochene Jelinek-Fans und sie hat den Literaturnobelpreis, es wird was an den Texten sein, dass ich nicht erkenne. Schön fand ich Jelineks skurrilen Sprachwitz, der auch vereinzelte Zuschauer zum Lachen brachte. Und überhaupt. Der Text ist ja nur das eine, die Inszenierung das andere.

Und die Inszenierung ist gelungen. Das fängt schon mit dem Bühnenaufbau an. In der Mitte zum dritten Mal das Karussell, diesmal perfekt eingesetzt als sich drehende Umkleidekabinen mit einem Laufsteg im Mittelstück. Die ganze Aufführung ist eine Modenschau, schnelle Kostümwechsel, viel Glitzer, schräge bis elegante Gewänder wechseln sich ab. Ich stelle mir vor, dass Marion Hauer als Ausstatterin das Herz aufging, sich so ungebremst austoben zu dürfen. Ihr gelingt sogar so etwas wie eine geschlossene Formensprache. Die Bühne bleibt als luftig wehendes, hellfarbenes Glitzerarrangement im Gedächtnis haften.

Überstrahlt wird der Bühnenaufbau allerdings von dem unglaublichen Dominik Puhl. Fast zwei Stunden bewegt er sich mit einer Eleganz auf Stöckelschuhen über die Bühne, dass sich viele Damen im Zuschauerraum verwundert die Augen gerieben haben dürften. Wenn er einfach mal so auf einem Fuß balancierend den Schuh am anderen wechselt, fragt man sich, ob er je was anderes an den Füßen hatte. Seine Texte kommen präzise daher und seine Erscheinung ist sicher nicht Mann, aber auch nicht Frau, irgendwo jenseits von alledem, eine zeit-, ort- und gesichtslose Schaufensterpuppe.

Auch Maëlle Giovanetti gefiel mir. Eigentlich gefällt sie mir immer, ich mag ihre Art. Aber anders als  Puhl, der als eine Art Kunstwesen, passend zum Modethema, über die Bühne schwebte, blieb Maëlle Giovanetti Maëlle Giovanetti. Da es ja überhaupt keine Rollen in dem Stück gibt, also gar keine Personen verkörpert werden, konnte sie auch einfach nur sich selbst darstellen, das geht in Ordnung. Einzig Hanna Eichel hat mich enttäuscht. Ihre Sprache war undeutlich, ihre Bewegungen auch. Sie wird sich vielleicht in einer Charakterrolle besser zur Geltung bringen können.

Und noch etwas hat mir sehr gefallen, nämlich der Einsatz von Multimedia-Technik. Immer wieder kommt eine Frau, mit einer Videokamera auf die Bühne. Ich nehme an, es ist Marie Luise Schönfeld, im Programmheft als Videoassistentin ausgewiesen. Beispielsweise filmt sie Dominik Puhl und im Hintergrund wird das Bild zeitversetzt verdreifacht und auf den Vorhang hinter ihm projiziert. Der Zuschauer sieht nun Puhl leibhaftig und dahinter als Projektion mit einer, zwei und mit drei Sekunden Versatz. Ein schöner Effekt und ein sinnvoller Einsatz der Technik. Auch Schönfeld auf der Bühne passt; auf Schauen und Kongressen laufen ständig Fotografen durchs Bild, daran hat man sich gewöhnt. Nur tragen sie keine Glitzerhosenanzüge, sondern meist Cargohosen und Multitaschenwesten und es sind fast immer Männer, die diesen Knochenjob machen.

Wie passt denn nun der Text zur Aufführung? Im Rückblick habe ich das Gefühl, einer Ballettaufführung beigewohnt zu haben. Die Tänzer kreieren Figuren, irgendwie passend zur Musik. Sie tanzen nicht die Noten, sondern sie schaffen Bilder, die durch die Töne inspiriert sind. Aber die Ballettassoziation hakt, die Bedeutung der Worte schiebt sich dazwischen und lenkt ab. Ich habe mal wieder im Nachgang die Trailer anderer Inszenierungen auf Youtube angeschaut. Es scheint mir bei allen Aufführungen das gleiche Problem zu geben. Auch mehr Kostüme und exaltierteres Geschrei ändern daran nichts.

Ich bin dann aber auf einen Off-Stage-Monolog von Tabea Bettin gestoßen. So, wie sie den Text spricht, wird er für mich lebendig. Man sieht, wie sich der Text als Gedanken in ihrem Kopf entwickelt, dadurch kann man ihm folgen, Bettin zieht mich förmlich durch den Text. Dagegen, so scheint es mir, wird der Text in den anderen Inszenierungen, auch in der Konstanzer, nur deklamiert. Aber geht das nur in diesem Off-Stage-Format, oder ginge das auch auf der Bühne?

Hier zur Webseite des Theaters

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