Die 39 Stufen

Blödeln bis zur Schmerzgrenze

Könnte es sein, dass unsere Intendantin, Karin Becker, im letzten Winter schon wusste, dass Deutschland im November 2021 in schwerer Multikrise niedergedrückt sein würde? Dass die Menschen von Sorgen vor Krankheit, Angst um ihre Grundrechte, in Hass und Ärger aufeinander aufgewühlt und depressiv durch die dunklen Tage schleichen würden? Und dass sie dringend einer Aufmunterung bedürfen würden?

Vielleicht hat sie auch ihr Programm zusammengestellt nach dem Motto: Von allem etwas, dann ist für jeden was dabei. Wie auch immer. Ihre Wahl, nach klassischen, intellektuellen, experimentellen und romantischen Stoffen, nun den Humor in den November zu legen, war vermutlich nicht zufällig, und ganz sicher eine richtige Wahl.

Ich jedenfalls habe mich zwei Stunden lang köstlich amüsiert. Spätestens als Dominik Puhl zum ersten Mal aus der Rolle fiel und fast hinter der Bühne über den nicht funktionierenden Vorhang schimpfte („Auch wenn nur die Hälfte der Zuschauer rein darf, heißt das doch nicht, dass nur die Hälfte der Bühne zu sehen sein darf!“), also ab da war klar, dass nichts reingeschwurbeltes Ernstes mehr den Abend trüben würde. Ulk pur was angesagt und man konnte sich hemmungslos mitreißen lassen vom Strom der sich überschlagenden Gags.

Nur ein-, zweimal blitzte leise im Hinterkopf die Frage auf, ob denn so ein Klamauk nicht den ehrfürchtigen Saal, dieses ältesten durchgehend bespielten … und so weiter … unwürdig wäre und ob das nicht das erste Zeichen eines Abrutschens ins Provinzielle markiert. Aber nur ganz kurz und ganz leise und sie war auch gleich wieder weg. Die nächste verrückte Posse riss meine Aufmerksamkeit wieder an sich.

Das Stück lebt von seinen vielen Rollen- und Szenenwechseln. Bestimmt mehr als fünfzig Rollen werden von den vier Schauspielern dargestellt. Ein verrücktes Potpourri aus Kostümen und Requisiten. Man ist verblüfft, wie viele verschiedenartige Möbelstücke eine einfache Holzkiste darstellen kann. Wenn man keine Felsspalte auf die Bühne bringen will, tun es eben zwei Schauspieler. Es sind großartige Regieeinfälle und sie gehen fast alle auf.

Man spürt die Freude, die Regisseur Joachim Rathke, das Schauspielerquartett und auch Caro Stark (Bühne und Kostüm) gehabt haben müssen, sich das alles auszudenken. Wie Miguel Jachman als Ehefrau des Bösewichts Professor Jordan nur mit einer beweglichen Tür die Hauptperson, Richard Hannay, gespielt von Patrick O. Beck, durch das verwinkelte Haus führt und es so sichtbar werden lässt, ist erstaunlich. Oder wie Beck den bisherigen Hergang der Geschichte der Bauersfrau in einer Dreißig-Sekunden-Pantomime erzählt – hervorragende Schauspielkunst. Oder die Darstellung einer Autofahrt mit lediglich vier Holzkisten und einem Lenkrad. Herrlich wie Miguel Jachman (der mir überhaupt am besten gefallen hat) Dominik Puhl das Lenkrad aus der Hand nimmt: „Wir sind doch in Schottland, da ist Linksverkehr“. Ich könnte seitenweise einzelne Szenen beschwärmen, aber was soll’s? Schaut’s Euch an. Die Empfehlung geht vor allem an diejenigen meiner Leser, die eher selten das Theater besuchen. (Ja, genau Euch meine ich!)

Ein Gedanke kam mir beim Heimweg dann doch. Manchmal hatten die Schauspieler schon etwas übertrieben. Maëlle Giovanetti als Schweizer Bauer in den schottischen Bergen – das hat nicht so recht überzeugt. Überhaupt ging mit ihr, fand ich, die Spielfreude durch. Es ist schon toll, ihr zuzuschauen, vor allem in diesem Sommer in „Viel Lärm um nichts“ gefiel sie mir so gut, dass ich mich seitdem auf ihren nächsten Auftritt gefreut hatte. Aber gestern hätte ich mir doch ab und an ein paar dezentere Töne, etwas versteckten Humor von ihr gewünscht.

Überhaupt ist das etwas, was das Stück vielleicht noch stärker machen könnte. Nämlich ein paar zurückgenommene Passagen. Feiner britische Humor gewürzt mit Understatement passt doch recht gut zum Stück. Vergleichbar einer Sinfonie, bei der die lauten, bombastischen Passagen umso stärker wirken, wenn sie von leisen Sequenzen eingerahmt werden, hätten sich die Liebesszenen zwischen Richard und Pamela für eine andere Art Humor angeboten. Aber das zu bemängeln ist Jammern auf hohem Niveau.

Was ich im Nachhinein gerne lesen würde, ist das Drehbuch von Patrick Barlow. Ich befürchte, ich fände es gar nicht lustig. Denn eigentlich ist die Handlung ziemlich gradlinig an Alfred Hitchcocks Film von 1939 angelegt. Vermutlich kommt der Humor allein daraus, dass der Film überhaupt nicht richtig für die Bühne adaptiert wurde, sondern alle Filmstationen beibehalten wurden, sodass der Theaterregie keine andere Möglichkeit bleibt, als mit Requisiten und Kostümen zu zaubern. Wenn ich nachdenke, fällt mir nichts ein, das von der Handlung allein her lustig sein könnte.

Wie so oft habe ich mir daheim auf Youtube verschiedene Trailer von anderen Inszenierungen angeschaut. Je „seriöser“ die Inszenierung daherkommt, desto fader erschien sie mir. Die Konstanzer haben vermutlich die Krone abgeschossen mit ihrem Feuerwerk.

Hier zur Webseite des Theaters

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